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Brüder spielen

Warum die Zeit zum Spielen so wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung ist

Anna ist mit ihren beiden Kindern Tom (18 Monate) und Maria (3 Jahre) zu Hause. Sie versucht einen großen Berg Wäsche zu legen und in die Schränke zu verräumen. Doch ständig hängt ihr jemand am Rockzipfel und fordert Aufmerksamkeit oder will auf den Arm genommen werden. Am Ende lässt sie die Wäsche liegen und spielt mit den Kindern im Kinderzimmer, damit diese Ruhe geben.


Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass es immer mehr Kinder gibt, die sich gar nicht mehr alleine beschäftigen können? Oder, dass es immer mehr werden, denen gänzlich die Freude am Entdecken fehlt und die sich lieber von uns als Eltern beschäftigen lassen?


Das führt nicht nur dazu, dass wir Eltern zu nichts mehr kommen, sondern auch, dass wir den ganzen Tag kleine Quengelgeister um uns herum haben.


Was wir hier erleben, ist ein typisches Phänomen unserer Zeit. Der Alltag wird von der fordernden Aufmerksamkeit der Kinder geprägt. Der Haushalt oder andere wichtige Aufgaben müssen bis zum Abend warten, wenn die Kinder endlich im Bett sind. Das kann manchmal ganz schön frustrierend sein, denn auch wir als Eltern brauchen Pausen und nicht zuletzt auch Zeit mit dem Partner.

Doch warum ist das so, dass Kinder uns so intensiv brauchen? Immer wieder werde ich gefragt, wie Menschen das früher gemacht haben?

Und tatsächlich kann man sich gar nicht vorstellen, dass unsere Großeltern mit ihren Kindern täglich viele Stunden auf dem Teppich saßen und gespielt haben. Am Abend war das Haus sauber und ordentlich. Die meisten Mütter, waren damals mit ihren Kindern in den ersten drei Lebensjahren zu Hause. Was haben die also anders gemacht? Wie gelang ihnen der Spagat zwischen Haushalt und Kind?

Die ungarische Kinderärztin Emmi Pikler hat auf dieses Phänomen ebenfalls ihr Augenmerk geworfen. Sie erklärt wie wir als Eltern selbst darauf hinarbeiten, dass unsere Kinder sich lieber bespaßen lassen, als alleine auf Entdeckungsreise zu gehen. Tatsächlich beginnt es schon im ersten Lebensjahr. Der Zeit, in der man ja eigentlich ein Kind nicht verwöhnen kann.


In den ersten Lebensmonaten beginnt für unsere Kinder eine abenteuerliche Reise in eine Welt, in der es vieles zu entdecken gibt. Säuglinge nehmen alle Eindrücke in ihrer Umwelt auf und sind fasziniert von Dingen, die uns Erwachsenen bereits unwichtig erscheinen. Das erste Lebensjahr steht im Zeichen der Fortbewegung.

Kinder werden mit einer großen Portion Bewegungsdrang, Entdeckerfreude und Neugierde geboren. Diese Eigenschaften führen dazu, dass der Säugling die Welt mit allen Sinnen untersucht. Dabei vernetzen sich Millionen von Nervenzellen miteinander, was im späteren Leben von enormer Bedeutung ist. In den ersten drei Jahren bildet jede Nervenzelle ca. 10000 Verbindungen zu anderen Nervenzellen.


Der Hirnforscher Manfred Spitzer schrieb.

„Was Kinder in ihren ersten Lebensjahren an Strukturen nicht mit auf den Weg bekommen,

holen sie später kaum mehr auf.“


Daher ist es so wichtig, dass Kinder genügend Zeit zum Entdecken und Untersuchen ihrer Umwelt bekommen und so wenig wie möglich in angeleiteten Spielgruppen unterwegs sind. Denn dort werden sie in einem fort dazu bewegt, Dinge zu tun, die der Gruppenleiter vorbereitet hat. Das muss aber nicht mit dem übereinstimmen, was ein Kind in seiner jeweiligen Entwicklungsstufe untersuchen würde und sollte. Besucht man zu viele Frühförderprogramme, verliert sich die kindliche Neugierde und Experimentierfreude und sie lernen, wie unterhaltsam es sein kann, wenn Erwachsene einen bespaßen.

Nehmen wir uns jedoch zurück und lassen die Kinder selbst entscheiden, für was sie sich interessieren und mit was sie sich beschäftigen wollen, stärkt sich in ihnen der unentwegte Forscherdrang.


Was können wir als Eltern tun?

Wir können dafür sorgen, dass sich das Kind in einer gefahrlosen Umgebung befindet. Das heißt, je nach Alter des Kindes legen wir es zuerst in ein Laufgitter, in dem es ohne Gefahren spielen und später in einem abgesicherten Raum auf eine Decke, in dem es sich alleine bewegen kann.


Dürfen wir nun mit unseren Kindern gar nicht mehr spielen und nur eine passive Rolle einnehmen?


Natürlich nehmen wir uns Zeit für unseren Nachwuchs, liegen neben ihm, erzählen und spielen mit ihm. Nur nicht immerzu. Lassen wir dem Kind Zeit, wenn es in sich versunken Gegenstände immer und immer wieder untersucht, beobachtet und erforscht und geben ihm Nähe und Zuwendung, wenn es sie braucht. Ein Kind muss immer das Gefühl haben, dass es sicher, geborgen und geliebt ist.

In den ersten drei Lebensjahren spielt die Bindung zu uns als Eltern eine zentrale Rolle. Es kann also nicht darum gehen, passiv zu sein, sondern das Kind nicht in einem fort in seinem Tun zu unterbrechen.

So lernt der Sprößling, wie befriedigend es sein kann, an einer Sachse dran zu bleiben und sie mit allen Sinnen zu untersuchen. Das fördert nicht nur die Konzentration sondern auch die Ausdauer. Besser kann man seine Kinder auf das Leben gar nicht vorbereiten.


Und wie sieht es mit älteren Kindern aus, die nicht alleine spielen?

Matteo (5) steht in seinem Kinderzimmer und beginnt in allen Kisten und Schränken zu wühlen. Schnell ist der Boden über und über mit Spielsachen bedeckt und ein schlecht gelaunter Matteo steht in der Tür. Er weiß einfach nicht, was er spielen soll. Die Mutter ist verzweifelt. Er hat die schönsten und teuersten Spielsachen. Er hat alles, was man sich nur vorstellen kann und doch spielt er nicht damit.

Hier liegt wohl auch der Schlüssel. Bei all den vielen Dingen geht er von einem zum anderen, bleibt jedoch nie lange bei der Sache und kann im Spiel keine Ruhe finden. Es gibt so unendlich viel, was seine ständige Aufmerksamkeit abzieht. Letztendlich gibt er auf und geht frustriert wieder zu den Eltern, damit die ihm helfen einen Ruhepol zu finden.

Das heißt, zunächst einmal brauchen Kinder eine Umgebung, die zum Spielen anregt und herausfordert. Das wird in der Regel nicht das Kinderzimmer mit den unzähligen Spielsachen sein. Zu viel Auswahl hemmt den Spieltrieb.

Es macht daher Sinn, die Spielsachen hin und wieder einmal zu sortieren und eine große Ladung davon wegzupacken. So entstehen wieder Freiräume zum Denken und kreativ werden.

Genau wie der Raum, der spielanregend gestaltet sein soll, muss auch die Atmosphäre das Spielen ermöglichen.

Es dürfen möglichst keine Termine anstehen, die das Kind aus seinem Spiel reißen können. Alle Medien wie Handy, Tablet, Fernseher oder Radio sollten für ein paar Stunden verstummen. Um in ein tiefes Spiel zu kommen, braucht es bis zu 30 Minuten.

Manchmal hilft es, gemeinsam in einen freien Nachmittag zu starten, indem man etwas zusammen macht. Das kann eine Reparatur sein, eine Arbeit im Haushalt oder gemeinsames Backen. Denn echte Arbeit regt Kinder zum Spielen an. Nicht ohne Grund bleiben Kinder gerne bei großen Baustellen stehen und beobachten Bagger und Arbeiter bei ihrem Tun.

Daher macht es Sinn, auch als Eltern zu entschleunigen, sich eine Arbeit zu suchen, die man gerne tut und sie in der Nähe des Kindes zu erledigen.

Sobald Sie Ruhe ausstrahlen, kommt auch Ihr Kind zur Ruhe und findet nach und nach in sein Spiel.

Sollte es nicht von Anfang an funktionieren, werden Sie nicht ungeduldigt. Es braucht ein bisschen Zeit, um sich auf neue Dinge einzulassen, aber jedes Kind findet einen Weg.

Nichts trainiert die Konzentartiosnfähigkeit und Ausdauer mehr wie das vertiefte und eigenständige Spiel und bereitet damit besser auf das zukünftige Leben vor.

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