Der Abend beginnt bei uns wie jeden Tag mit dem Waschen, Zähneputzen und dem Zusammenkuscheln auf dem großen Bett. Jetzt fehlt nur noch ein Buch und eine kuschlige Decke. Beide Mädchen lieben Bücher und können das gemeinsame Lesen kaum abwarten. Während meine kleine Tochter mit ihren 18 Monaten Bücher mit einem Bild pro Seite liebt, zu denen wir gemeinsam erzählen, sucht meine Dreijährige, Bücher mit immer längeren Geschichten aus.
Besonders Geschichten über Hexen stehen bei uns derzeit hoch im Kurs. Einige davon haben wir inzwischen so oft gelesen, dass ich vor einigen Tagen im Bad Wäsche legte und mit einem Mal hörte, wie meine Tochter dem Teddy das Buch: "Die neugierige kleine Hexe" wortwörtlich "vorlas". Ich war so fasziniert, dass wir sie am Abend baten, uns doch die Geschichte der kleinen Hexe Liesbeth zu erzählen. Sie schlug Seite für Seite auf und erzählte Wort für Wort das ganze Buch. Selbst die Betonungen der einzelnen Wörter waren so schön gewählt, dass uns ein kleiner Schauer über den Rücken lief.

Doch was ist das Geheimnis des Vorlesens. Worin besteht die Magie?
Beim Vorlesen kann der Zuhörer eine eigene Welt der Bilder erschaffen. Er kann sich die Figuren, die Handlungen ausmalen, wie es ihm gefällt und wie er sie aushält. Er kann hineintauchen und die Welt um sich herum ausblenden.
Das Vorlesen schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Nähe. Gerade in unserer sehr hektischen Zeit, in der schon die Kleinsten einen vollen Terminkalender haben, ist es ein Moment der Ruhe, Geborgenheit und Zusammengehörigkeit. Kaum einem anderen Medium gelingt dies so intensiv wie den Büchern, die liebevoll und mit Zeit vorgelesen werden.

Manche Geschichten wecken die Erinnerung an die eigene Kindheit
Häufig lese ich unseren Kindern inzwischen Bücher vor, die ich aus meiner eigenen Kindheit kenne. An das Gefühl, des Abtauchens in eine eigene fantasievolle Welt kann ich mich sehr gut erinnern. Ich habe es geliebt mir die Figuren vorzustellen und manchmal in meinem Bett die Geschichten weiterzudenken. Besonders der Moment, in dem eine Geschichte zu Ende war oder unterbrochen wurde ist immer auch ein Moment des wieder Auftauchens, des Wachwerdens und Zurückkommens in die Realität. Das fällt manch einem gar nicht so leicht. Manche Kinder möchten dann das Buch noch ein bisschen bei sich haben, um in der Fantasiewelt für einige Augenblicke länger verweilen zu dürfen.

Wenn man während des Vorlesens in die Augen der Kinder schaut, dann sieht man wie verträumt ihr Blick ist und wie sie jedes einzelne Wort aufsaugen. Gerade in der frühen Kindheit hat das Bilden der Fantasie ein großer Stellenwert. Kinder brauchen Momente, in denen sie ihre eigene Welt konstruieren und wieder Karft tanken können für die Anforderungen des Alltags.
Frühförderung durch Vorlesen
Die Stiftung Lesen sieht im Bereich des Vorlesens eine wichtige frühe Förderung. Durch die gemeinsame Zeit erwerben die Kinder eine bandbreite an kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten. Sie lernen über viele Sachverhalte nachzudenken, sie zu verstehen. Dabei entwicklet sich der Wortschatz. Wer seinen Kindern viel vorliest, wird auch in Redewendungen seiner Kleinen häufig Ähnlichkeiten zu Lieblingsbüchern entdecken. Damit wird das Kind natürlich wortgewandter. Es kann sich durch einen großen Wortschatz gut ausdrücken und umschreiben, was ihm durch den Kopf geht. Natürlich wird beim frühen Vorlesen für Kinder auch der Grundstein für die eigene Begeisterung für Bücher und die Motivation des Lesenlernens gelegt.

Durch die immer länger werdenden Geschichten trainieren wir die Konzentrationsdauer bei unseren Kindern. Wichtig ist hierbei jedoch, dass beim Vorlesen eine ruhige Umgebung geschaffen wird. Ist ein jüngeres Kind noch nicht in der Lage, so lange zu zuhören, so lassen wir es ein wenig spielen oder mit dem anderen Elternteil ein kleines Buch anschauen. Denn nur durch eine entspannte und ruhige Umgebung gelingt das wirkliche Abtauchen in eine Geschichte.
Besuch in der Bibliothek
Gemeinsam mit den Spösslingen einen Ausflug in die Bibliothek zu machen lohnt sich. Wir lieben diese Nachmittage. Besonders meine große Tochter sitzt sofort vor einem Bücherregal und sucht alles heraus, was sie spannend findet. Manchmal sucht sie auch für die kleine Schwester oder den Teddy ein Büchlein heraus. Das Gefühl, einfach Bücher anfassen zu dürfen und in Ruhe durchzublättern, ohne sie kaufen zu müssen, fasziniert sie sehr. Meist sammeln wir alle Bücher, die uns ins Auge gesprungen sind auf dem Kindertisch im Raum und suchen die Schönsten heraus. Dabei muss ich als Mutter jedoch einen Blick auf Lesealter und auch Inhalt haben. Nicht alle Geschichten sind schon passend für das Alter von drei Jahren. Das jedoch ist dann einfach meine Aufgabe und funktioniert mit einer liebevollen Erklärung meist richtig gut.

Durch den Besuch der Bibliothek wird die Liebe zu Büchern geweckt und die Freude immer neue Geschichten zu entdecken. Genauso aber wird auch gelernt, dass man mit fremden Dingen sehr sorgsam umgehen muss. Bei uns im Kinderzimmer gibt es extra eine Kiste nur für geliehene Medien, die auch Abend für Abend wieder liebevoll einsortiert wird.
Bücher und das Vorlesen haben bei uns in der Familie einen großen Stellenwert gefunden. Auch in Situationen, in denen die Stimmung im Keller ist, helfen sie uns von Zeit zu Zeit aus der Krise. Sie halten für einen Augenblick einfach einmal die Welt an und lassen die Gedanken zur Ruhe kommen. Gerade, wenn ein Tag sehr hektisch war, hilft es uns einen kleinen Ausflug in die Fantasiewelt zu unternehmen und wieder für entspannte Momente zu sorgen. Und was gibt es schöneres, als zusammengekuschelt auf dem Sofa gemütlich ein Buch vorzulesen?
Comments