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Die Phasen der Sprachentwicklung Teil 3: Auf das Zeigen kommt es an (1 bis 1,5 Jahre)

Die ersten Einwortsätze entstehen

In dieser Sprachentwicklungsphase ist das Kind allmählich in der Lage sogenannte Einwortsätze zu bilden. Das heißt es kann mit einem Wort das ausdrücken was es möchte. Dabei setzt es verschiedene Betonungen ein, um mit einem Wort eine Frage, eine Bitte oder eine Antwort auszudrücken. So sagt es zum Beispiel zu dem heißbegehrten Kuscheltier mit großem Nachdruck „haben“ und jeder weiß, was es möchte. Doch wie erlernt es eigentlich die Wörter?



Durch das Zeigen lernt es unsere Sprache

Wesentlich für das Alter sind die sogenannten „Zeigegesten“ die meist ab dem 10. Lebensmonat verwendet werden. Dazu zeigt das Kind auf einen Gegenstand und möchte wissen wie es heißt. Manchmal wirft es dem Erwachsenen noch einen fragenden Blick zu oder unterstreicht seine Geste mit dem Wort „da“. Nun möchte es die Bedeutung der Worte lernen und geht mit aller Vehemenz seinem Ziel nach. Besonders wenn der Erwachsene seine Aufforderung missversteht und ihm vielleicht nur den Gegenstand bringt, in der Meinung es möchte diesen gerne haben, wird es sehr deutlich sein Missfallen darüber ausdrücken. Und das Kleine wird an seinem Ziel dran bleiben, bis der Erwachsene endlich versteht und den Gegenstand beim Namen nennt. Das Kind bestimmt also welches Wort es gerne lernen möchte, indem es darauf zeigt. Und nicht nur das: In den seltensten Fällen wird es dabei nur hören „Ball“. Nein meist bekommt es einen ganzen Satz wie zum Beispiel „Das ist ein Ball“ dargeboten. Das heißt es lernt nicht nur das Wort zum passenden Gegenstand sondern dazu auch noch die ersten grammatischen Strukturen unserer Sprache. Und was passiert, wenn das Kind den Begriff benannt bekommt? Nichts! Es ist still und wendet sich einer anderen Sache zu oder zeigt auf den nächsten Gegenstand. Das Interessante daran ist, dass in Forschungen herausgefunden wurde, dass ca. 3 Monate später das Wort von dem Kind verwendet wird. Und nicht nur das, selbst die grammatische Struktur die dem Kind dazu angeboten wurde, steht ihm jetzt zur Verfügung. Das Kind, Meister seines eigenen Lernens, wird vermutlich so oft wie es das braucht auf diesen Gegenstand zeigen, sich dabei den Klang des Wortes einprägen und wenn es nach ca. 3 Monaten das Wort so gut es geht aussprechen kann, tut es dies. Anhand dieser Forschungen wird deutlich, wie wichtig das Zeigen des Kindes ist und welche fundamentale Bedeutung sie für seine Sprachentwicklung hat.



Zum richtigen Sprechen kommt es auf jeden Muskel an

Natürlich kann es dann das Wort noch nicht perfekt aussprechen. Denn während es fleißig durch das Zeigen neue Wörter kennenlernt, muss zusätzlich auch der „Stimmtrakt“ also Mund-, Nasen- und Rachenraum so trainiert werden, dass exakt die Laute unserer Sprache gebildet werden können. Wenn man einmal schaut wie ein Laut gebildet wird, so könnte man beispielsweise sagen, der Laut "m" wird gebildet, indem die Lippen geschlossen sind. Damit aber genau dieser Laut entstehen kann, braucht es noch viel mehr. Rainer Patzlaff vergleicht es in seinem Buch mit einem Bachbett. Das Wasser fließt hindurch und bildet dabei viele Strudel. Das Ufer formt die Wasserströmung. Ähnlich funktioniert das mit den Lauten im Stimmtrakt. Die Luft wird vom Kehlkopf durch den Rachen und die Mundhöhle hindurch gepresst und je nachdem wie unser Ufer, also Rachenwand, Mundhöhle, Zunge usw. beschaffen sind, so verändert sich die Schwingung der Luft und der Laut erklingt. Dies geschieht durch unzählige kleine Muskeln die den Stimmtrakt in sekundenschnelle so verändern, dass ein bestimmter Laut entsteht. Interessant sind auch die Aufzeichnungen, welche Bewegungen allein die Zunge bei den Vokalen vollführt. Sie verwandelt sich geradezu in eine Landschaft aus Hügeln und Tälern. Somit ist es nicht verwunderlich, dass das Kind zum jetzigen Zeitpunkt nur einige Laute unserer Sprache kann. Dazu gehören die Laute, bei denen vor allem die Lippen zum Einsatz kommen, nämlich m,b,p,n. Diese kann das Kind schon sprechen und gezielt in seinen Worten mit einsetzen.

Das Verstehen von Sprache geht da schon besser. So kann das Kind nun einfache Aufforderungen und Fragen verstehen.



Unsere Aufgabe in dieser Phase:

Im Grunde bestimmt ein Kind selbst über die Wörter die es lernen möchte. Das zeigt die Art und Weise wie es seine Zeigegesten einsetzt. Es zeigt uns, was es lernen möchte und wie oft es davon eine Wiederholung braucht. Es ist also auch jetzt nicht unsere Aufgabe künstlich Sprachförderung zu betreiben und fleißig auf unser Kind einzureden, damit es viel Input bekommt. Das nützt dem Kind nichts, denn es muss zunächst einmal die Struktur unserer Sprache verstehen. Wie es diese versteht, weiß es meist selbst am besten. Daher kann man sich selbst den Grundsatz auferlegen:

Beantworte keine Frage, die das Kind gar nicht gestellt hat.

Es ist auch nicht nützlich für das Kind, wenn wir nun ausschweifend erklären, was das Gezeigte ist. Auch das ist zu viel für das Kind. Es sind die einfachen Sätze, die wir meist auch intuitiv verwenden, wenn wir mit einem Kind sprechen.


Das Kind nicht verbessern

Wenn man sich einmal bewusst macht, welche Meisterleistung das Kind vollbringt, nämlich innerhalb weniger Jahre seinen Stimmtrakt so zu trainieren, dass er die Laute seiner Muttersprache produzieren kann, dann wundert es nicht, dass die Worte nicht auf Anhieb perfekt herauspurzeln können. Aber unsere Kinder sind mutig und sprechen auch schon die Wörter aus, deren Laute sie noch gar nicht perfekt können. Im Grunde weiß ein Kind meist, wie das Wort klingen soll, was es das spricht, es muss nur noch weiter trainieren, bis es das Wort, so wie es in seinem Kopf klingt, auch sprechen kann. Wenn wir jetzt anfangen, unsere Kleinen zu verbessern oder sie dazu auffordern, das Wort noch einmal richtig zu wiederholen, dann nehmen wir ihnen die Lust und den Spaß am Sprechen und plötzlich wird es zu einer anstrengenden Aufgabe. Genau aus diesem Grund gilt das oberste Gebot: Verbessere dein Kind NICHT! Greife lieber das noch nicht so perfekt gesprochene Wort noch einmal auf und baue es in deinem Satz mit ein. Zum Beispiel sagt dein Kind hoch erfreut "Auffu" Dann kannst du das aufgreifen und sagen: " Ja genau wir machen jetzt einen Ausflug!" Schon hört es das Wort noch einmal richtig. Und wenn es soweit ist, spricht es dies genauso gut wie du!


Das Gespräch am Wickeltisch

Wird das Kind noch gewickelt, so bietet sich dieser Rahmen natürlich weiterhin an, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Jetzt muss man meist gar nicht mehr viel dafür tun, denn euer Kind wird fleißig das Gespräch in Gang bringen. Ihr könnt es in Entscheidungen mit einbeziehen ob es z.B. die grüne oder die rote Hose anziehen möchte (bleibt dabei aber bei überschaubaren Entscheidungen von max. 2 Dingen). Und bezieht es in das Wickeln und Anziehen so viel wie möglich ein, denn euer Kind versteht schon weit mehr als es bisher sprechen kann.

Verbinden kann man dies auch wieder gut mit Sprüchen und Reimen. In diesem Alter eignen sich kleine Fingerspiele sehr gut, bei denen man den Körper des Kindes berührt. Beispiele dazu werde ich nächste Woche vorstellen.


Gespräche im Alltag

Wie oben bereits beschrieben, wird euer Alltag voll sein von Dingen die euer Kind wissen möchte.

Wichtig ist auch in dieser Phase wieder, dass wir an dem Gespräch mit unserem Kind interessiert sind und auf die Dinge die es uns zeigen möchte oder über die es mit uns sprechen möchte eingehen. Denn erhält es keine "Antwort" auf sein Zeigen, dann kann es auch nichts lernen. Das fordert von uns natürlich auch viel Geduld und Aufmerksamkeit, aber es lohnt sich.


Bilderbücher

An der Auswahl von Büchern ändert sich in dieser Phase noch nicht so viel. Die überschaubaren Bilderbücher sind für das Kind genau richtig. Eine schöne Erfindung sind die sogenannten "Buggybücher". Sie sind für die Kinder perfekt, weil sie so klein sind, dass sie gut in der Kinderhand liegen. Diese gibt es in den verschiedensten Varianten mit Tieren, Autos, Dingen zum Greifen und Fühlen usw. Auch Bücher mit kleinen Texten (wie z.B. ein Reim unter jedem Bild) kann man allmählich einsetzen. Meiner Erfahrung nach, hören die Kleinen aber nur kurz dabei zu und bevorzugen es, wenn wir uns eigene Erzählungen dazu ausdenken.


Literatur:


Dhorn, Christel: Spiel mit mir Sprich mit mir. Spiele zur Sprachentwicklung vom Kleinkind bis zum Grundschulalter. Verlag freies Geistesleben. Stuttgart. 2002

Näger, Sylvia: Literacy. Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur. Herder Verlag. Freiburg im Breisgau. 2017. 6. Auflage

Patzlaff, Rainer: Sprache das Lebenselixier des Kindes. Moderne Forschung und die Tiefendimension des gesprochenen Wortes. Verlag freies Geistesleben. Stuttgart. 2017


Pickler, Emmi: Friedliche Babys zufriedene Mütter. Pädagogische Ratschläge einer Kinderärztin. 2013. 4. Auflage. Verlag Herder GmbH. 2013


Wendlandt, Wolfgang: Sprachstörungen im Kindesalter. Thieme Verlag. 1995

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